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Christian Henner-Fehr © Karola Riegler
© Karola Riegler

5 Fragen an: Christian Henner-Fehr

Der Kulturmanager und bekannte Blogger Christian Henner-Fehr (https://kulturmanagement.wordpress.com/) hat sich bereit erklärt, mit KulturData ein Interview via E-Mail zu führen. Er antwortete auf die 5 Fragen zur digitalen Transformation, die auch bereits andere Experten zum Nachdenken angeregt haben. Am Ende des Beitrages finden Sie eine Übersicht der Interviewpartner. Wollen Sie lieber alle Antworten nach Frage sortiert haben? Diese Übersicht finden Sie demnächst hier. (© Karola Riegler)


Außerhalb der Kulturbranche reden alle von Digitalisierung. Ist das in Kulturbetrieben bereits ein Thema – abgesehen von Social Media?

»Die Digitalisierung wird schon als ein Thema wahrgenommen, das Kulturbetriebe tangieren wird. Aber da sich die Kultureinrichtungen voll und ganz auf das Tagesgeschäft konzentrieren, bleibt keine Zeit für die Dinge, die in näherer oder fernerer Zukunft passieren werden. Das bedeutet, Strukturen und Prozesse bleiben unverändert, man diskutiert lieber über das neueste soziale Netzwerk und die Frage, wie man dort auf sich aufmerksam machen kann. Dass es eigentlich aber an den Basics fehlt, übersieht man.

Aber die Digitalisierung findet natürlich trotzdem statt und sie findet auch im Kunst- und Kulturbereich statt. Aber die Kulturbetriebe laufen Gefahr, zu reinen Contentlieferanten degradiert zu werden, weil sie die Auswirkungen der Digitalisierung auf strategischer Ebene nicht erkennen.

Da gibt es zum Beispiel mit Ticket Gretchen in Wien eine App, die mir einen raschen Überblick über das Theaterangebot der Stadt liefert und es mir erlaubt, mit wenigen Klicks ein Ticket zu kaufen. Für sich genommen ist das keine große Sache. Aber nun gibt es Kooperationen mit Taxiunternehmen und Carsharing-Services, die auch auf Apps setzen.

Der User bekommt nun nicht einfach nur ein Ticket, sondern er kann sich mit ein paar Mausklicks auch gleich Hin- und Rückfahrt organisieren. Auf diese Weise lässt sich früher oder später die gesamte Customer Journey abdecken. Natürlich fließt dabei auch Geld, das allerdings in andere Taschen wandert und von dem die Kulturbetriebe nichts haben. Unternehmerisch gedacht hätten die Kulturbetriebe es sein können, die ein Startup gründen, um so eine App zu entwickeln. Mir geht es gar nicht so sehr um einen möglichen finanziellen Gewinn. Aber die Kulturbetriebe wären mit so einer App sehr nahe an ihren Besuchern dran und würden von den Daten profitieren, die aus der Nutzung der App gewonnen werden können.«

Sollte ein Kulturbetrieb, wie andere Betriebe auch, Daten sammeln und nutzen?

»Es ist ja nicht so, dass Kulturbetriebe bis heute keine Daten sammeln. Ein Theater weiß zum Beispiel sehr viel über seine Abonnenten, ein Museum kennt das Verhalten der Jahreskartenbesitzer auch sehr genau. Daraus werden auch Schlüsse gezogen, die so gewonnenen Erkenntnisse helfen dann bei der Konzeption neuer Angebote oder im Marketing.

Aber der digitale Raum liefert zusätzliche Möglichkeiten, Daten zu gewinnen. Nicht nur über die Besucher vor Ort, sondern auch über die Newsletterabonnenten oder die Besucher der Website. Dieses Datenmaterial wird bis jetzt noch viel zu wenig ausgenützt, übrigens nicht nur im Kunst- und Kulturbereich.

Auf der Basis gewonnener Daten lassen sich Modelle entwickeln, mit deren Hilfe sich ein bestimmtes Verhalten vorhersagen lässt. Dank „Predictive Analytics“ können Kultureinrichtungen vielleicht schon bald herausfinden, was das Verhalten zukünftiger Besucher von dem der heutigen Besucher unterscheidet und dafür frühzeitig die Weichen stellen.«

Im British Museum gibt es bereits ein Data Science Team. Werden deutsche Kulturbetriebe in Zukunft auch Programmierer einstellen? Welche Aufgaben könnten diesen zukommen?

»Wenn man den Data Scientist als Programmierer bezeichnet, tut man im Unrecht. Ihn braucht man, wenn man auf Predictive Analytics setzt. Mit seiner Hilfe wird „aus Daten Wissen extrahiert“, wie es auf Wikipedia heißt. Er veredelt das Datenmaterial und trägt dazu bei, dass diese Daten überhaupt genutzt werden können.

Ich vermute, dass es bei uns noch ein wenig dauern wird, bis Data Science in den Kulturbetrieben ankommt. Am ehesten wohl im Museumsbereich, weil wir hier bereits eine Vielzahl digitalisierter Objekte haben und die Digitalisierung ein Stück weit bereits im Alltag angekommen ist.«

Manche Kulturarbeiter sehen den digitalen Besucher als gleichwertig zum Besucher in der »echten« Welt an. Sie auch?

»Ja, denn warum sollte ein digitaler Besucher weniger wert sein als der vor Ort? Ich habe, um diese Frage zu beantworten, gerade die Suchmaschine bemüht und bin dabei wieder auf die ICOM-Definition von Museum gestoßen:

Das Museum ist eine nicht gewinnbringende, ständige Einrichtung im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, die für die Öffentlichkeit zugänglich ist und materielle Belege des Menschen und seiner Umwelt zum Zwecke des Studiums, der Erziehung und der Freude erwirbt, erhält, erforscht, vermittelt und ausstellt.“ (siehe Wikipedia-Eintrag „Museum“)

Da steht nirgends, dass es zur Erfüllung dieser Aufgabe der Präsenz des Besuchers im Museum bedarf. Das Google Art Project zeigt, dass der virtuelle Raum heute auch bereits genutzt wird. Wir müssen jetzt nicht darüber reden, dass es natürlich etwas ganz Anderes ist, wenn ich ein Kunstobjekt in Natura vor mir habe. Aber wie viele Menschen haben nicht die Möglichkeit, diesen Moment erleben zu können. Aus welchen Gründen auch immer?

Sind die dann Kulturnutzer zweiter Klasse, weil sie eben nicht vor Ort sein können? Nein, ich denke, Kultureinrichtungen sollten zwar in der Ansprache einen Unterschied machen, aber nicht in der Bewertung von Besuchern und Usern. Das heißt aber auch, dass man für diese Online-Besucher entsprechende Angebote entwickeln muss.«

Was wird in 5 Jahren die größte Herausforderung für Kulturbetriebe sein – abseits von Budgets

»Da mache ich es mir jetzt einfach. Die ersten vier Fragen haben sich mit technologischen Entwicklungen beschäftigt, die auch Kulturbetriebe betreffen. Die Herausforderung besteht darin, auf diese Entwicklungen zu reagieren und sie so zu nutzen, dass die Betriebe auch davon profitieren. Ansonsten drohen sie den Anschluss zu verlieren an eine Welt, die von diesen technologischen Entwicklungen beeinflusst und gestaltet wird.«

 


Weitere Interviews:

  • Dr. Angelika Schoder (MusErMeKu)
  • Hannes Tronsberg (actori)
  • Sven Kielgas (Serviceplan)
  • Dr. Matthias Schloderer (Bayerische Staatsoper)

4 thoughts on “5 Fragen an: Christian Henner-Fehr

  1. Ein sehr interessantes Interview! Es wird auch immer deutlicher, dass man sich im Kulturbereich auch an anderen Branchen orientieren muss, um zukünftige Entwicklungen besser abschätzen zu können. Der Meinung zum digitalen Besucher wollen wir uns anschließen. Wir zählen seit einigen Jahren digitale wie „analoge“ Besucher gleichermaßen, beide sind gleich wichtig und beiden versuchen wir unsere Themen auf verschiedene Arten zu vermitteln. Der Blog ist dabei bisher das Hauptinstrument – aber sicherlich gibt es da auch unterschiedliche Ansätze und Möglichkeiten.
    Viele Grüße,
    Marlene Hofmann / Museum Burg Posterstein

    1. Liebe Frau Hofmann, vielen Dank für ihre Einschätzung! Dürfte ich fragen, in welchen Branchen Sie sich bevorzugt umschauen? VG Holger Kurtz

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