Nachdem wir in Teil 2 gelernt haben, dass die meisten Theater die Orpheus’sche Angst hinter sich gelassen haben und ihr Publium ins Auge fassen, schauen wir uns im 3. Teil an, was das Theater vor die Linse bekommt. Zuerst sieht es nur unschaft eine Gruppe von Menschen, allmählich entdeckt es Unterschiede und Gemeinsamkeit. Kurzum: Es teilen das Kulturpublikum in Segmente ein: Die Besuchersegmentierung kann beginnen, doch wie?
Da fallen einem bestimmt bereits Segmentkriterien ein, wie „Geschlecht“, „Alter“ oder „Kaufkraft“. Das sind bereits interessante Ideen, jedoch noch lange nicht alle: Jochen Becker (2009) hat dazu eine Übersicht erstellt. Mit einem Klick auf das Bild wird sie vergrößert.
Becker unterteilt alle Merkmale in 3 große Gruppen:
- Demografische Kriterien
- Psychografische Kriterien
- Kaufverhaltensbezogene Kriterien
Demografische Kriterien sind meistens jene, welche man beim Ticketkauf angeben muss. Es sind klare Angaben, die der Besucher über sich selbst aussagen kann. Häufig müssen sie auch angegeben werden, um den Kaufabschluss abschließen zu können. Beispielsweise muss der potenzielle Kunde die Adresse angeben, wenn er die Tickets per Post erhalten will.
Psychografische Kriterien sind schon ein wenig aufwendiger herauszufinden. Lifestyles und Persönlichkeitsmerkmale lassen sich häufig nur über eine Besucherumfrage herausfinden. Dabei werden Einstellungen zum Theaterbesuch und Nutzungserwartungen („Unterhaltung“, „Nachdenken“, „Geschenkidee“ etc.) eruiert. Diese sind meist jedoch anonym und für eine Stichprobe erfasst. Neben theaterbezogenen Merkmalen gibt es auch allgemeinere, wie: Musikgeschmack, Kulturinteresse und Lieblingskünstler. Wäre es nicht toll, wenn die Besucher einfach freiwillig ihre psychografischen Daten preisgeben und man diese als Theater mitnutzen könnte? Genau da kommt Facebook ins Spiel. Das Netzwerk ermöglicht jedem Werbetreibenden psychografische Segmente zu erreichen – ohne den Aufwand einer Besucherumfrage. Dazu in einem späteren Teil genaueres.
Kaufverhaltensbezogene Kriterien ergeben sich meist aus der Ticketkaufhistorie der Besucher. Da man sich für den Ticketkauf anmelden muss, wird ein Besucherprofil erstellt, dem mehrere Buchungen inklusive Umsatz zugeordnet werden können. Im Online-Bereich lassen sich die E-Commerce Daten über das kostenlose Tool Google Analytics einsehen. So kann nachvollzogen werden, woher der Käufer kam (z.B. Google, Facebook, Newsletter) und wie viele Karten er wann gekauft hat. Wenn ein Customer Relationsship Management System, wie Salesforce, genutzt wird, lassen sich auch telefonische Einkäufe dem Online-Profil hinzufügen. Dies geschieht über eine Kundennummer, die der Besucher beim Kauf angibt. An der Abendkasse müssen auch keine Informationen verloren gehen, wenn dies über eine Kundenkarte dem Kundenprofil hinzugerechnet werden können. Wie sich in meiner empirischen Umfrage an deutschen Theatern herausstellen wird, hat die Kundenkarte in den letzten Jahren einen Siegeszug erlebt. Auch dazu wird es in einem späteren Teil weitere Informationen geben.
Und damit mache ich jetzt was?
Erstmal muss zwischen aktiven und passiven Kriterien unterschieden werden. Also, ob wir die Besucher AKTIV in Altergruppen einteilen oder ob wir die Altersgruppen PASSIV mit weiteren Kriterien beschreiben. Auch muss festgelegt werden, wie hoch das Segmentierungsniveau sein soll. Ein Beispiel verdeutlicht diesen Prozess:
Nutzen wir als aktives Kriterium das Alter, so können wir mindestens zwei Segmente bilden, um diese anschließend zu vergleichen:
- Segment 1: Die jungen Erwachsenen bis 30 Jahren
- Segment 2: Die Erfahrenen ab 31 Jahren
In welchen Kriterien unterscheiden sich diese beiden Segmente? Um das herauszufinden, filtern wir erst die U30 Besucher raus und schauen uns dieses mit passiven Kriterien an. Zum Beispiel dem Kriterium „Ticketumsatz“. Der durchschnittliche Ticketumsatz des U30 Segmentes pro Besucher ist vermutlich geringer als der Umsatz des Ü30 Segmentes.
Ein Publikumsrückgang des Segmentes der Ü30 Besucher hätte somit finanztechnisch (kurzfristig) gravierendere Folgen als bei den U30 Leuten.
Schauen wir uns als passives Kriterium den durchschnittlichen Warenkorb an, zeigt sich vermutlich, dass ältere Besucher die teureren Tickets kaufen. Wir schließen nun (aus diesem bewusst einfachen Beispiel), dass es wenig Sinn ergibt, die teuren Ticketkategorien an die U30 Zielgruppe zu kommunizieren.
Segmentierungsniveau
Die U30 Zielgruppe ist bereits ein Segment, doch unterscheiden sich die Besucher darin sehr. Nehmen wir nun ein zweites aktives Kriterium zur Hand, zerlegen wir die Gruppen erneut. Ein Beispiel: Wohnort.
Die beiden Gruppen werden nun wieder anhand ihres Wohnortes (Innenstadt oder Außenbreich) unterteilt. Es könnte sich zeigen, dass 60% der U30 Besucher in der Innenstadt wohnen. Im Außenbereich wohnen 70% der Ü30 Gruppe.
Das Segmentierungsniveau wurde nun angehoben, um genauere Informationen über die Besucher zu erhalten. Mit zwei aktiven Kriterien wissen wir nun, dass mehr als die Hälfte der U30 Besucher in der Innenstadt wohnt – dort erreicht eine Plakatierung mit der Bewerbung von vergünstigten Tickets also eher die Zielgruppe als außerhalb der Innenstadt. Im Vorort würde eine Plakatierung für höherwertige Tickets für die Ü30 Zielgruppe mehr Sinn ergeben.
Wenn statt einer Plakataktion eine Social Media Werbeaktion eingesetzt wird, ist es sogar möglich, dass die Ü30 Zielgruppe, die in der Innenstadt wohnt (30%), nicht mit einer Werbebotschaft genervt wird, die sich überhaupt nicht an sie richtet, da sie z.B. von günstigen Studentenkarten handelt.
Fazit
Im dritten Teil haben wir die Grundlagen der Segmentierung kennengelernt: Die drei Gruppen an Kriterien, die sowohl zur aktiven als auch zur passiven Segmentierung genutzt werden können: demografische Kriterien, psychografische Kriterien und kaufverhaltensbezogene Kriterien. Der Fantasie ist bei deren Kombination keine Grenze gesetzt. Doch wie bei einem vollen Mund gilt auch hier: ab einer gewissen Menge wird es undeutlich.
Unter dem Segment der „U30+innenstadt+twitternutzer+iphone4-Besitzer+2Tickets im Jahr – Besucher“ kann man sich meist nicht mehr viel vorstellen, bzw. wird es schwierig in diesen Kleinssegmenten zu kommunizieren. Daher gibt es Anforderungen an Segmente, die erfüllt werden müssen. Zu diesem Thema gibt es einen Abschnitt in der Masterarbeit, er wird jedoch als Blogbeitrag nicht dargestellt. Das meiste davon erklärt sich nämlich auch alleine mit dem gesunden Menschenverstand.
Vorschau
In Teil 4 schauen wir, welche „Stadien der Marketingstrategie“ es gibt. Vom Massenmarketing der 60er Jahre hin zum modernen kundenindividuellen Marketing. Wir beantworten auch die Frage: In welchem Stadium stecken die Theater in Deutschland?
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© Piet Mondrian, Komposition mit Rot, Gelb, Blau und Schwarz, 1921, Gemeentemuseum Den Haag
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