Wenn der Webanalyst Maik Bruns in seinem Podcast sagt: „Sichtbarkeit zahlt keine Rechnungen“ könnte man für den Kulturbereich noch hinzufügen – und verkauft auch keine Tickets. Was er anführt, stimmt insbesondere auch für den Kulturbereich.
Gastbeitrag von Stefan Kleinberger
Neben seiner Tätigkeit bei der SEA/SEO Agentur LWP Consulting arbeite er als Freelancer im Kulturbereich und unterrichtet Digital Marketing bei Pausanio und im Masterlehrgang Kulturmanagement der Musikuniversität Wien.
stefankleinberger.at
Man könnte im Jahr 2021 davon ausgehen, dass Reichweite oder die Anzahl der Follower keine ernst zu nehmenden Kennzahlen mehr sind. Aber leider fühlen sich viele Kulturinstitutionen in ihren Wohlfühlmetriken oder Vanity Metrics sehr wohl (die Angst vor Veränderung und Skepsis dem digitalen Marketing gegenüber ist dabei nicht förderlich, aber eine andere Geschichte). Vanity Metriken haben „etwas mit oberflächlicher Hübschheit zu tun.„
Vanity metrics are all those data points that make us feel good if they go up but don’t help us make decisions.
Neil Patel
Zwei Beispiele
Ein paar Beispiele wieso Reichweite als Kennzahl zu hinterfragen ist:
Das obere Posting hatte eine organische Reichweite von weit über einer Million und wurde 5828 Mal geteilt.
Wenn man diese Kennzahlen isoliert betrachten würde, wäre das Posting ein durchschlagender Erfolg. Das Problem dabei ist, dass durch das Video keine Tickets verkauft oder wichtige Conversions getätigt wurden. Würde man den Content nur auf eine möglichst große Reichweite ausrichten, also ähnliche Videos wie oben produzieren, würde dies nicht den Unternehmenszielen entsprechen. Vanitry Metrics verstellen „Ihnen den Blick auf viel wesentlichere Kennzahlen, die Ihnen bei unternehmerischen Entscheidungen helfen und so zu Erfolg und Wachstum beitragen.„
Ähnliches gilt auch für ein zweites geradezu DAS typische Social Media Beispiel. Im Februar 2020 stürmte eine Katze ein Orchesterkonzert. Das Video ging damals durch alle Kanäle und Newsportale und hatte eine große organische Reichweite (Vermutlich größer als das Orchester mit einem Konzert jemals erreichen wird). Wenn man hier die Reichweite als Kennzahl für gelungenen Content nehmen würde, müsste sich das Orchester einen halben Zoo anschaffen. Man sieht schnell, dass ein schielen auf eine größtmögliche Reichweite nicht das Hauptziel sein kann. Langfristig sind ein paar Lacher einfach zu wenig.
Impressionen und Sichtbarkeit bringen dir nichts, wenn sie dir keine Kunden bringen.
Maik Bruns
Geld rein, Reichweite raus
Aber nicht nur im Social Media Marketing, sondern auch in den anderen Marketing Kanälen wie SEA, Content- oder Newsletter-Marketing ist Reichweite als Kennzahl keine wirkliche Hilfe. Jeder, der sich mit Suchmaschinenwerbung näher beschäftigt hat, weiß, dass eine große Reichweite an sich kein Problem darstellt. Geld rein = Reichweite raus. Wichtig ist die Reichweite bei den richtigen Kunden. Was hilft die Sichtbarkeit wenn keine Tickets verkauft werden?
Die Reichweite als Kennzahl war bei den Massenmedien des letzten Jahrhunderts im Mittelpunkt. Im digitalen Zeitalter ist diese für die Bewertung aber unbrauchbar. Wenn man digitales Marketing mit der Kennzahl Reichweite steuert, bringt man sich um einen der größten Vorteile: die Messbarkeit von spezifischen Unternehmenszielen und damit verbundene Optimierung. Denn nur was man misst kann man verbessern. Kein professioneller SEA- oder Social Media Manager würde daher Ads ohne ein ordentliches Conversion Tracking und definierten Zielen ausspielen. Es heißt damit aber nicht, dass Reichweite nicht wichtig wäre, aber es ist einfach nicht die richtige Kennzahl um im Online Marketing Optimierungen vorzunehmen. Auch wenn der HiPPO (highest paid person’s opinion), also meist Intendant/in oder Marketingleitung, anderer Meinung ist.
Reichweite ist der kleine Fisch, der in den Erzählungen des Anglers immer größer wird.
Gero Pflüger
Auswahl besserer Ziele
Wie geht man bei der Auswahl der Kennzahlen bzw. Definition von Zielen nun vor? Kennzahlen sollten immer mit einer Qualität verbunden sein und zu bestimmten Zielen führen, die für das Überleben des Unternehmens wichtig sind. Bei der Definition von Zielen wird gerne der Begriff SMART (spezifisch, messbar, anspruchsvoll, realistisch & terminiert) verwendet.
Whenever you start tracking a metric ask yourself if it helps you take action and make decisions. If not, ditch it.
Neil Patel
Hier kommt ein generelles Problem von Website-Betreibern zum Vorschein: Nur ein Teil hat überhaupt Ziele definiert. In den wenigsten Analytics Konten von Kulturorganisationen wird man hinterlegte Kennzahlen finden, welche die Ziele abbilden. Und nein vordefinierte Auswertungen wie “Zeit auf der Seite” oder “Seiten pro Sitzung” sind keine brauchbaren Kennzahlen wie Neil Patel anmerkt. Für die grobe qualitative Bewertung von Website Traffic eignet sich beispielsweise die Einrichtung eines Engagement Ziels. User lösen dieses aus, wenn nicht nur die Website aufgerufen wurde, sondern auch definierte Mikroziele auf der Website ausgeführt wurden (z.B. min. 20 Sekunden, 50 % Scroll & Klick in Verbindung). Auf diese Weise kommt man weg von problematischen Kennzahlen wie Absprungrate oder Seiten pro Sitzung.
Ohne Ziele sollte die Existenzberechtigung eines Internetauftritts hinterfragt werden.
Timo Aden
Als Grundlage für die Zielfindung könnte ein Zielfindungsworkshop angedacht werden. Im Buch “Webanalytics, Metriken auswerten, Besucherverhalten verstehen, Website optimieren” von Marco Hassler wird dieser Prozess genau behandelt. Gleich vorweg, es gibt keine allgemeinen Ziele. Für jede Website muss der Zielfindungsprozess separat gemacht werden.
Every business is unique, and every website is unique.
Avinash Kaushik
Also raus aus der Wohlfühlzone und rein in den Datendschungel liebe Kulturbetriebe. Ihr schafft das.