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Tina Lorenz über Digitalisierung am Theater

Replik von Tina Lorenz (Projektleitung für Digitale Entwicklung beim Staatstheater Augsburg) auf meinen Beitrag: „Warum fremdeln Kulturorganisationen mit der Digitalisierung?„.


Lieber Holger,

als ich deinen Artikel mit dem Titel „Warum fremdeln Kulturorganisationen mit der Digitalisierung“ gelesen hatte, habe ich dir auf Twitter geschrieben, dass ich Probleme mit deiner Argumentation habe. Vielleicht, weil ich schon länger im Betrieb bin. Vielleicht, weil ich Dinge anders erlebt habe. Deine Schlußfolgerungen passen ja größtenteils, aber…

Lass mich das genauer aufdröseln:

Beginnen müssen wir glaube ich mit einer Differenzierung. Digitalisierung auf der Bühne kann die Erfindung einer digitalen Raumerweiterung ins Virtuelle sein, es kann der Algorithmus als Mitspieler auf der Bühne sein, oder auch neue Regeln der Kopräsenz und des Inszenierens im digitalen Raum, die nicht mehr den alten im Theater entsprechen.

In deinem Artikel gehst du hauptsächlich auf Digitalisierungsprojekte in der Verwaltung und im Servicesektor ein, deshalb bleiben wir mal da, das ist nämlich an sich auch ein lohnendes Feld: Digitalisierung und Automatisierung sind Investitionen, die die Kräfte von Mitarbeitenden entlasten können und somit eine höhere Motivation zur Folge haben.

Grade am Theater ein Argument, das ich sehr wertvoll finde, auch wenn Verwaltungsdigitalisierung halt immer irgendwie unsexy ist, solange es dafür keine prestigeträchtigen Preise gibt (warum eigentlich nicht?)

1.

In deinem ersten Argument „Märkte treiben Innovationen“ stellst du den Innovationsdruck von wirtschaftlich arbeitenden Unternehmen mit anspruchsvoller Kundschaft einem Kulturbetrieb gegenüber, dessen Kundschaft einen digitalen Service nicht zu schätzen weiß. Das ist so nicht richtig.

Erstens müssen alle Kulturbetriebe auch und vornehmlich wirtschaftlich denken und handeln, und zweitens ist das Publikum weitaus agiler als das Vorurteil des grauhaarigen Konzert-Abo-Pärchens, das seit 40 Jahren auf denselben Sitzen sitzt, das so vermuten ließe.

Anekdotisch dazu: Meine Mutter (fast 70) lässt an dieser Stelle schön grüßen und ich soll dringend ausrichten, dass die Komische Oper Berlin die beste Webseite aller Theater hat und sie hätte dort sofort ein Ticket gefunden und wäre auch beim Anrufen toll beraten worden (Lob, das ich an dieser Stelle gerne weitergebe).

Digitale Services wie eine informative und gut funktionierende Webseite mit barrierearmem Buchungssystem ist mitnichten etwas, wofür sich Kund:innen nicht interessieren.

Theater kriegen Anrufe, Emails und Briefe, wenn etwas nicht funktioniert. Kein Theater kann es sich leisten, ein kompliziertes Buchungssystem zu haben oder wutentbrannte Emails von langjährigen Kund:innen dazu zu ignorieren.

2.

Dein zweites Argument „Keine Gelder fürs Grobe“ finde ich eigentlich am Entscheidensten: Hier bringst du die öffentliche Hand ins Spiel, die Förderung abhängig vom Digitalisierungswillen des Hauses machen könnte. Als Nebenargument bringst du die fehlenden Ressourcen von Zeit und Geld in den Häusern an.

Und hier liegt eigentlich der tatsächliche Knackpunkt. Im regulären Spielbetrieb sind alle Dienste, alle Arbeitszeit auf das Fertigstellen von Produktionen ausgelegt: Der Lappen muss hochgehen am Abend.

Da führt im Normalbetrieb kein Weg dran vorbei. Und über Digitalisierungsprojekte im Haus – egal, ob in der Verwaltung, in der Vermittlung, dem Kundenservice oder auch in der Kunst – muss man nachdenken. Man kann analoge Prozesse nicht einfach ins Digitale übersetzen, denn der geflügelte Satz: „wenn du einen Scheißprozess digitalisierst, hast du einen digitalen Scheißprozess“ stimmt auch hier.

Die langfristigen Vorteile von Digitalisierung und Automatisierung im Kundenservice und in der Verwaltung liegen zwar auf der Hand, werden aber meistens von der Überarbeitung des Personals ausgestochen.

Ein Teufelskreis: Ich hänge im sinnlosen händischen Ausfüllen von Excel-Tabellen fest, deshalb fehlt mir die Zeit, über eine Automatisierung dieses Prozesses nachzudenken, die mir wiederum dann Zeit für andere Dinge freischaufeln würde.

Sollten sich Abteilungen für ein Automatisierungsprojekt in ihrem Bereich entscheiden, muss das meistens oben auf die schon ziemlich happige Workload draufgelegt werden. Etwas, wofür man halt einfach vergleichsweise wenig Begeisterung im Haus schüren kann. Dabei habe ich es an anderer Stelle schon mal gesagt: Automatisierung ist Mitarbeiterfürsorge.

Wer im Vorderhaus nur mit dem Abreißen der Karten beschäftigt ist anstatt sich um die abendlichen Bedürfnisse der Theaterbesucher:innen zu kümmern, ist irgendwann gefrustet von dem Job. Automatische Ticketscans würde hier wieder die Ressourcen für das Wesentliche freimachen.

3.

Das geht auch sofort in dein drittes Argument „Fehlende Anreize“ über, in dem du schilderst, dass Theater keine wesentlichen – vor allem finanziellen – Anreize zum Digitalisieren haben. Das stimmt auch.

Im Gegenteil, Automatisierung und Digitalisierung kosten erst mal Geld. Man muss da reininvestieren, mit Hardware, mit Software, mit Schulungen, mit der vorherigen Umstrukturierung der Arbeit gegenbenenfalls, mit einer wochen- oder monatelangen Phase des Umbruchs, in dem nichts glatt läuft, obwohl es muss, weil wie gesagt – der Lappen muss hoch. Dazu braucht man Geld. Und Zeit. Beides knappe Ressourcen an einem Theater.

Es gibt hier auch keine Nebenbei-Lösung, nur radikale Ansätze. Ganz fies gesagt: Man müsste bei der Kunst sparen, um in die Verwaltung zu investieren. Und darauf ließe sich wohl kein Haus ein, verständlicherweise.

Damit bleibt das grundlegende Dilemma ungelöst und wird ungelöst bleiben, bis es Fördertöpfe für nachhaltige Verwaltungsdigitalisierung gibt oder bis Theaterleitungen diesen Investitionsschritt gehen wollen (mehr dazu unten).

4.

Dein viertes Argument „Erfolge werden flügge“ beschreibt, dass Theater keine relevanten Innovationen aus den Kultur- und Medienrevolutionen der Geschichte gezogen haben, weil sie einen inhärent analogen Markenkern haben.

Hier möchte ich am deutlichsten widersprechen, weil das einfach Quatsch ist.

Theater ist eine jahrtausendealte Kunstform, die schlicht und ergreifend jedes Medium, jede technologische Innovation eingemeindet und fürs Geschichten erzählen verwurstet hat.

Von der Erfindung der Zentralperspektive über Hydraulik und Elektrizität und künstlichem Licht bis hin zu modernen digitalen Steuerungseinheiten für Licht und Ton und projection mapping als Bühnenbildergänzung – Theater frisst technologische Innovationen zum Frühstück und verleibt sie sich ein.

Dass wir eine irgendwie antiquarische Kunstform sind, die sich im Wandel der Zeit nicht bewegt hat, stimmt halt einfach nicht.

Theater und die Art, wie wir uns dort Geschichten erzählen, entwickelt sich stetig weiter. In der Verwaltungsdigitalisierung und -automatisierung sehe ich eher das Problem, dass die Arbeit hier oft als Mittel zum Zweck (der Kunstproduktion) gesehen wird und keinen Wert an sich darstellt.

Hier könnte es helfen, sich der Open-Source-Kultur zu öffnen und hausübergreifend gemeinsame Probleme gemeinsam anzugehen – also beispielsweise custom Software offen zu lizensieren, damit andere Häuser die Möglichkeit haben, sie auf ihre spezifischen Bedürfnisse anzupassen. Aber auch Überlegungen in diese Richtung kosten Zeit und Geld und das Selbstbewusstsein, das Rad nicht ständig neu erfinden zu müssen.

5.

In deinem letzten Argument dafür, warum sich Kulturinstitutionen mit der Digitalisierung so schwer tun, beschreibst du „Interna und Legacy“, also die organisch gewachsenen Strukturen, die manchmal innovative Projekte verhindern.

Damit hast du ganz Recht. Dem Argument fehlt aber ein ganz entscheidender Teil: Theater sind hierarchische Gebilde. Top-Down. Und zwar überall. Wir sind quasi Behörden. Das bedeutet grade für Digitalisierungsprojekte, in die man investieren muss, für die man Zeit und Geldressourcen freimachen muss, damit sie mittelfristig einen payoff generieren, dass die Leitungsebene das aktiv wollen muss.

Nicht irgendeine Abteilung, oder motivierte junge Mitarbeiter:innen irgendwo im Mittelbau.

Die Chefs. Wenn die sagen „Yes, let’s go“, dann stellt das die notwendigen Weichen ins Haus, die sonst ungestellt bleiben.

Irgendwo erwähnst du noch, dass Theater Tanker sind, deren Kurskorrekturen eine Weile brauchen, um durchzuschlagen. Mit diesem sehr richtigen Satz möchte ich auch ein bisschen für Geduld werben, für alle, denen das nicht schnell genug geht.

Klar, in einigen Häusern wird offen mit der Digitalisierung gefremdelt und man sagt sich, wenn wir noch Hüte selber machen, können wir genauso gut auch Excel handklöppeln, so als Beitrag zum digitalen Kunsthandwerk.

Aber oftmals gibt es in vielen Häusern unterpublizierte Ansätze und Projekte, die manchmal noch zaghafte Blümchen sind, aber vielleicht auch krasse Hausnummern (zum Beispiel die Trennung der gesamten IT-Infrastruktur aus dem Netzwerk der Stadt, was sowohl das Staatstheater Nürnberg, als auch das Staatstheater Augsburg grade mal eben in den Sommerpausen und dem laufenden Spielbetrieb gewuppt haben). Das ist nicht Nichts.

Ich bin jedenfalls total dafür, die mit Liebe und endloser Fleißarbeit handgemachten Exceltabellen ein bisschen in den Theaterverwaltungsfundus einzumotten, und stattdessen Automatisierung und Digitalisierung in den Verwaltungen und internen Prozessen als Akt der Mitarbeiterfürsorge zu begreifen, die jede Theaterleitung zur höchsten Priorität erklären muss – gerne auch zusammengefasst in einer ganzheitlichen Digitalstrategie, die alle Teilprojekte zu abteilungsübergreifenden Zielen zusammenfasst.

Zusammen mit einer effektiven öffentlichen Förderung, einem Outreachprogramm an andere Häuser zur Lösung gemeinsamer Probleme mittels Open-Source-Ansätzen, und vielleicht ein paar prestigeprächtigen Preisen für das schönste Verwaltungsdigitalisierungsprojekt (looking at you, Bühnenverein!) wäre ein Anfang gemacht.


Liebe Leser*Innen: was sagt ihr zu dem Thema? Wenn auch euch die 280 Zeichen auf Twitter nicht genug sind, biete ich KulturData.de als Plattform für eine Replik an.

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