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Wie Big Data bei den Los Angeles Philharmonic die Nachfrage voraussagt

Wie über die Methode »Repertoire Scoring« ein künstlerisches Programm quantifizierbar wird, wurde bereits im Artikel „Die 5 Nachfrage-Faktoren für Programm der Seattle Opera“ dargestellt. Die Los Angeles Philharmonic gingen noch einen Schritt weiter.

Zusammen mit der Unternehmensberatung Baker Richards und der Marketingagentur JCA Arts Marketing wurden die Programme anhand dreier Kriterien untersucht. Vorausgegangen war die Erkenntnis, dass weder der Tag, die Uhrzeit noch die Saisonalität einen signifikaten Einfluss auf die Nachfrage hatte.

Ergo blieb, laut Richard Baker, nur noch das Programm als ausschlaggebenden Punkt, der die Nachfrage beeinflusst.

Externe Faktoren (Wettbewerber, Markttrends) wurden demnach nicht betrachtet. Welche Faktoren beeinflussen die Nachfrage und wie lässt sich diese Erkenntnis für die Prgrammplanung einsetzten? Wieso eine Nachfrageorientierung weitreichende Urspünge und Folgen hat, stelle ich am Ende dieses Beitrages dar.

Die 3 Kriterien des Repertoire Scorings:

  1. Werkaspekte (Titel, Genre, Komponisten etc.)
  2. Das restliche Programm
  3. Musiker, Dirigenten

Wieder haben Mitarbeiter aus verschiedenen Abteilungen (Marketing, Dramaturgie, Ticketing) aus der Sicht eines durchschnittlichen LAPhil Besuchers die Kriterien nach ihrem Reiz bewertet.

Besonders reizvolle/attraktive Titel, Musiker etc, bekamen eine hohe Punktzahl (6). Unattraktive bekamen niedrige Punkte (unter 0,5 ging es jedoch nicht). Diese wurden nun mit den historischen Ticketing Daten verbunden, um Korrelationen zu entdecken. Heraus kamen folgende Ergebnisse:

Erkenntnisse (Auswahl)

  • Anspruchsvolle Konzerte (>3,5) hatten geringe Auslastungsschwankungen
  • Abonennten wechselten eher zu anspruchsvollen Konzerten, wodurch Einzeltickets an der Abendkasse bei anspruchsloseren Programmen frei wurden
  • Preisgestaltung auf Grundlage des Repertoire Scores für Einzelkarten
  • Preisgestaltung auf Grundlage der zeitlichen Nachfrageentwicklung bei Abonnements
  • -> Dadurch entstand ein zusätzliches Einnahmenpotenzial von 10%

Anmerkungen

Wieder führt das Zusammentragen mit anderen Modellen zu weiteren Erkenntnissen. Bereits bei der Seattle Methode wurde das Programm nach Kriterien bewertet, um herauszufinden, welche Kriterien die Nachfrage beeinflussen. Beim Modell der University Musical Society wurde ein Teil dieser Kriterien auf die Ticketkäufer übertragen (Abenteuerlustige Programme -> Abenteuerlustige Besucher).

Die LAPhil ordnen nun dieser Segmentierung die Segmentierung nach Einzelkartenkäufer und Abonnenten zu. Dadurch wird eine theoretische Segmentierung zu einer realen Segmentierung, die durch Preisgestaltung einen Einfluss auf die Einnahmen nehmen kann. Das ist nötig, da sich die Preise nicht für „Abenteuerlustige“ verändern lassen – für Abonnenten und Einzelkartenkäufer hingegen schon.

Probleme

Die Kriterien „Abenteuerlust“ und „Anspruch“ sind nicht ganz trennscharf voneinander zu unterscheiden. Daher ist bei all diesen Methoden eine gewisse Subjektivität (trotz unterschiedlicher Mitarbeiter) nicht zu vermeiden.

Konzertprogramme, die sowohl anspruchsvolle wie auch eingängige Werke verbinden, werden durch die Summe der bewerteten Kriterien nicht korrekt dargestellt. Solche Konzertprogramme hätten eine mittlere Punktzahl, obwohl sie nicht den „mittig Anspruchsvollen“ gefallen werden.

Dieses Segment fände das eingängige Stück nicht anspruchsvoll genug, das anspruchsvolle Stück würde sie jedoch überfordern. Die Kommunikation könnte sich daher genauso auf die beiden Extreme, anspruchsvolle Kunden und anspruchslose Kunden, konzentrieren. Diese hätten jeweils einen passenden Programmpunkt.

Aus einer marktorientierten Sicht ergeben solche Konzertprogramme ergo keinen Sinn – dennoch sind sie ein wichtiger und wertvoller Bestandteil der öffenltich finanzierten Kulturszene. Um Roger Willemsen zu zitieren:

Kultur ist Überforderung, ist Konfrontation mit Nicht-Verstehen im Dienste der Mündigkeit, wenn nicht der ‚Empormenschlichung‘ (Musil).  ZEIT: »Als die Fernsehwelt noch heile war«

Kritik

Daher plädiere ich dafür, dass in öffentlich finanzierten Kulturbetrieben solche Forcasting-Modelle nicht dem marktorientierten Handeln nutzen sollen, sondern als ein wertvolles Instrument betrachtet wird, um die Besucher schrittweise an den Reiz der Überforderung und der daraus resultirenden Konfrontation mit Themen heranzuführen.

Gerade die öffentliche Finanzierung soll einen Handlungsspielraum ermöglichen, der ein Handeln abseits der Fänge durch Marktmechanismen erst zulässt. Das führt dazu, dass ein Rückzug der öffentlichen Hand immer mit einem Erstarken der Marktorientierung der Kulturbetriebe einher geht. Dies sollte nicht das Ziel einer Digitalisierung im Kulturmanagement sein.